Vorteile und Herausforderungen der agilen Arbeitsweise - praxisnah erklärt
„Ab heute arbeiten wir hier agil.“ Wenn ich als Agile Coach entscheiden dürfte, wäre das ein Satz, der morgen in allen Unternehmen fällt. Aber – ebenfalls dank meiner Rolle und Erfahrung im Bereich der agilen Transformation – weiß ich natürlich, dass es ganz so einfach nicht ist.
Agiles Arbeiten kann nicht einfach verordnet werden, insbesondere nicht von jetzt auf gleich. Es gehören das richtige (agile) Mindset, die Kenntnis der agilen Werte, Prinzipien und Methoden sowie eine Unternehmensstruktur und -philosophie dazu, die gemeinsam die passenden Rahmenbedingungen schaffen. Und, nicht zuletzt, braucht es manchmal zunächst einen Überblick. Was ist agiles Arbeiten überhaupt? Welche Vorteile und Herausforderungen erwarten Sie? Gibt es erfolgreiche Praxisbeispiele und wie sehen die aus?
Das alles erfahren Sie in diesem Blogbeitrag:
Grundlagen des agilen Arbeitens
Ist agiles Arbeiten nicht einfach nur flexibles Arbeiten? Nein, während flexible Arbeit (also beispielsweise Mitarbeitende, die selbst entscheiden können, wann, wo und an welchem Projekt sie tüfteln) ihr Unternehmen nicht agiler macht, macht agiles Arbeiten es sehr wohl flexibler.
Der Unterschied liegt darin, dass es bei Agilität um mehr als Einsatzort und -zeit geht. Vielmehr fußt die agile Arbeitsweise auf einem agilen Mindset sowie auf Prinzipien und Werten, die bestenfalls im gesamten Unternehmen, mindestens aber in dem Team, das agil arbeiten soll, gelebt werden müssen. Dazu zählen unter anderem Kundenzentrierung, häufige Feedback-Schleifen, Einfachheit, Commitment, Fokus und Mut. Mehr über die agilen Prinzipien erfahren Sie in diesem Blogbeitrag, auf die agilen Werte und die „agile Zwiebel“ gehe ich hier ebenfalls ausführlich ein.
Sind diese Werte und Prinzipien verstanden und verinnerlicht, ist das bereits ein großer, vermutlich sogar der größte, Schritt in Richtung Agilität. Ihr Team, Ihre Abteilung, Ihr Unternehmen kann flexibler und schneller auf veränderte Anforderungen reagieren, ohne dabei Fokus und Sicherheit zu verlieren. Auf der praktischen oder operativen Ebene erwachsen aus den agilen Werten und Prinzipien nun die Frameworks und Methoden. Wir reden auch von „Being Agile“, darunter sind das Mindset, die Werte und Prinzipen zusammengefasst, und „Doing Agile“ im Bereich der Methoden und Frameworks.
Bekannte Beispiele für Letzteres sind SCRUM, Kanban oder Lean Management.
Zusammenfassend hier noch einmal eine Definition, die es gut auf den Punkt bringt:
Agiles Arbeiten - Definition
Agiles Arbeiten ist ein flexibler, iterativer Ansatz zur Organisation und Umsetzung von Projekten, der auf kontinuierlicher Verbesserung, Anpassungsfähigkeit und enger Zusammenarbeit basiert. Teams arbeiten in kurzen Zyklen (z. B. Sprints), um schnell auf Veränderungen reagieren und frühzeitig Ergebnisse liefern zu können. Dabei stehen Transparenz, Selbstorganisation und Kundenorientierung im Fokus. Ziel ist es, effizienter zu arbeiten und einen höheren Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen.
Mehr zur Geschichte der Agilität erfahren Sie hier.
Vorteile von agiler Arbeit für Unternehmen und Mitarbeitende
Für die meisten Unternehmen und Branchen sind die Tage, an denen man morgens bereits weiß, was man nachmittags tut, nicht nur gezählt. Sie sind vorbei. Kundenwünsche wandeln sich so rasant wie unsere Welt, im Positiven wie im Negativen. Durch die Globalisierung kann etwas, das in den USA geschieht, unmittelbare Auswirkungen auf Dienstleister in Deutschland haben. Wahlen, Kriege, neue Technologien – das alles befeuert die berühmte und teils berüchtigte VUCA-Welt.
Der allumfassende Vorteil agiler Arbeit liegt also auf der Hand: Sie sorgt dafür, dass Unternehmen handlungsfähig bleiben. Starres Klammern an Mal-Dagewesenem, Immer-schon-so-Gemachtem und Im-Angebot-Festgehaltenem wird die Kundenzufriedenheit nachhaltig senken. Und die Motivation der Mitarbeitenden sinkt direkt mit in den Keller.
Im täglichen Doing zeigen sich die Vorteile auf verschiedene Weise: Mitarbeiter, die wissen, dass sie sich in einer transparenten Fehlerkultur bewegen, sind eher bereit, auch mal Risiken einzugehen. Sie stellen wirklich den Kunden ins Zentrum des Handels – nicht die eigene Job-Sicherheit. Zusätzlich entsteht Motivation, wenn Teams nicht gemicromanagt werden, sondern sich selbst organisieren und in Entscheidungen und Prozesse maßgeblich eingebunden sind.
Das sind übrigens auch genau die Attribute, nach denen die jüngeren Generationen suchen, wenn sie sich auf dem Jobmarkt umsehen. Agiles Arbeiten fördert also auch Ihre Arbeitgebermarke und ist eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel in Ihrem Unternehmen zu begegnen.
Prägnante Vorteile agiler Arbeit auf einen Blick
Flexibilität: Anpassung an Veränderungen möglich
Kollaboration: Verbesserte Teamkommunikation und -arbeit
Kundenzentrierung: Häufige Rückmeldung vom Kunden
Effizienz: Schnelle Lieferung nutzbarer Ergebnisse
Transparenz: Klare Einsicht in den Fortschritt
Herausforderungen bei agilem Arbeiten – und wie Sie diese meistern
Eigentlich ist es falsch, von Herausforderungen bei der agilen Arbeit zu sprechen, denn die meisten zeigen sich bereits, bevor die Arbeit so richtig beginnt. Schaut man sich die Vorzüge an (und meinen einleitenden Satz), könnte man sich fragen, warum nicht alle Unternehmen schon längst auf den Agilitätszug aufgesprungen sind. Die Gründe dafür haben eine gemeinsame Wurzel: Das Unternehmen muss bereit sein. Agilität ist eben keine Methode oder ein neues Tool, das man zwischen zwei Kaffeepausen einführt.
Zunächst muss die Führungsmannschaft an die agilen Werte und Prinzipien herangeführt werden und diese wirklich verinnerlichen – sie leben. Das kann unangenehm sein und Widerstände auslösen. Alles Neue ist für unser Gehirn erst einmal anstrengend. Es geht aus Reflex in eine Vermeidungsstrategie und benötigt Energie, um sich auf Innovation einzulassen.
Sind die Führungskräfte on Board, steht derselbe Prozess für die Mitarbeitenden ins Haus. Während der Umstellung sollten sie sich sicher und geborgen fühlen. Klare und transparente Kommunikation ist ein Muss. Last but not least muss die Infrastruktur Ihres Unternehmens agile Arbeit erlauben. Das bedeutet, Sie müssen in die passenden Tools investieren und dem Team entsprechend Soft- und eventuell auch Hardware zur Verfügung stellen.
Der Transformationsprozess benötigt Zeit, Geduld – und passende Expertise. Eventuell müssen Teams neu zusammengestellt werden, es kommt zu Reibung und Konflikten und definitiv sollte mindestens eine Person den Überblick über den Gesamtprozess behalten. Wenn Sie den Veränderungsprozess anstoßen wollen, aber nicht wissen, wie, helfe ich Ihnen gerne weiter. Gemeinsam finden wir die richtigen Stellschrauben und arbeiten gemeinsam in die Zukunft.
Exkurs: Die richtigen Tools
Ich betone oft, dass Agilität kein Tool und keine Methode ist und auch nicht funktioniert, indem man mal eben eine neue Software implementiert. Veränderung muss innen beginnen, um ihre Wirkung auch im Außen zu entfalten. Ganz ohne Tools und Techniken funktioniert es aber natürlich auch nicht. Am Ende des Tages – und relativ oft zwischendurch – brauchen die Teammitglieder einen Ort, der unkomplizierten Austausch ermöglicht und eine vernünftige und flexible Projektplanung ist ebenfalls essenziell.
Kurz zusammengefasst benötigen Sie Tools für:
Projektmanagement: Trello, Asana, Jira.
Kommunikation: Slack, Microsoft Teams, Zoom
Kollaboration: Miro, Confluence
Velocity-Tracking: Mit Velocity-Tracking-Tools messen Sie die Arbeitsgeschwindigkeit eines Teams über Sprints hinweg. Jira hat ein entsprechendes Werkzeug bereits integriert. In einer Basic-Variante ohne Schnickschnack tut es auch Excel.
Praxisbeispiele und Erfahrungen aus der Arbeitswelt
„Es geht nicht darum, ob eine Schraube künftig nach rechts oder links gedreht wird“, stellte Cornelius Fischer in Bezug auf hierarchiefreies Arbeiten bei der DB bereits vor Jahren fest. Und damit hat er den Nagel oder die Schraube, egal in welche Richtung gedreht, auf den Kopf getroffen. Bei Start-ups oder jungen Tech-Konzernen erwartet man Agilität wie den Hoodie und den Kicker-Tisch, aber bei Traditionsunternehmen des deutschen Mittelstandes oder sogar Konzernen, die sich erfahrungsgemäß langsamer wandeln?
Die Deutsche Bahn geht hier mit gutem Beispiel voran. Seit 2017 arbeitet die Personalabteilung in agilen Teams, die ihren Chef selbst wählen und sonstige Hierarchien abgeschafft haben. Bei Hilti sind die Kunden schon lange ganz konkret am Entwicklungsprozess neuer Produkte beteiligt. Insbesondere Installateure, die die Hilti-Waren im beruflichen Kontext und damit besonders intensiv nutzen, bringen sich immer wieder ein, wenn es um die Erweiterung des Portfolios geht.
Der schwedische Musik-Streaming-Dienst Spotify hat es sogar geschafft, dass eine eigene agile Methode nach ihm benannt wurde. Das Spotify-Modell zielt dabei nicht auf die Verbesserung der Arbeitsweise ab, sondern hat das Ziel, Teams im Unternehmen optimal miteinander zu vernetzen und eine Unternehmenskultur zu implementieren, die Autonomie großschreibt.
Fazit: Starten Sie am besten noch heute!
Mein einleitender Satz war also gar nicht so scherzhaft. Natürlich werden Stichtag morgen nicht alle Prozesse und Teams in Ihrem Unternehmen agil arbeiten, mit der Vorbereitung der agilen Transformation können Sie aber sehr wohl beginnen. Und sollten Sie auch, falls nicht bereits geschehen, Denn wie erwähnt braucht es Zeit, Fingerspitzengefühl und Durchhaltevermögen und, das ist aus meiner Sicht klar, Agilität ist die Zukunft der Arbeitswelt.
Die Fähigkeit, flexibel auf Marktveränderungen, technologische Innovationen und Kundenwünsche zu reagieren, wird immer wichtiger. Ebenso die andere Seite der Medaille: die motivierten Mitarbeiter, oder, um es ganz krass auszudrücken, überhaupt erst einmal die Mitarbeiter. Der Fachkräftemangel durchdringt jede Branche, mit einigen wenigen Ausnahmen, und es gibt zahlreiche Studien und Befragungen zu den Wünschen, die nachfolgende Generationen an ihre Arbeitgeber stellen: kaskadenartige Hierarchien, feste Bürozeiten, „Don't ask, Don't tell“-Menatlität gehören überraschenderweise nicht zu den Gewinnern.