Psychologische Sicherheit im Team
- Sabine Hahn
- 1. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 16. Aug.
Was psychologische Sicherheit ist und warum sie mit Führung beginnt
Meetings ohne Widerspruch. Rückfragen, die niemand stellt. Ideen, die unausgesprochen bleiben. Was nach oberflächlicher Harmonie klingt, ist oft ein Zeichen von Unsicherheit. Denn wo psychologische Sicherheit fehlt, wird nicht gesprochen – aus Angst. Und genau hier beginnt die Verantwortung von Führung: Räume zu schaffen, in denen aus Schweigen wieder Dialog wird.
Haben Sie den Begriff "psychologische Sicherheit" noch nie gehört? Prima. Dann ist der folgende Blogbeitrag sicherlich hilfreich. Sie erfahren hier:
Was ist psychologische Sicherheit?
Schweigende Meetings, fehlende Rückfragen, kaum Widerspruch – all das sind Frühwarnsignale. Wer sie ignoriert, riskiert mehr als nur Stocken im Projektfluss: Innovation versiegt, Lernchancen bleiben ungenutzt, Risiken bleiben verborgen. Silence isn’t golden, it’s costly. Und häufig ist es nicht Faulheit oder Gleichgültigkeit, sondern Angst: vor Ablehnung, Bloßstellung oder Sanktionen.
Die Harvard-Forscherin Amy C. Edmondson, die den Begriff „psychological safety“ prägte, beschreibt sie als „geteilte Überzeugung, dass das Team ein sicherer Ort für zwischenmenschliche Risiken ist – ohne Angst vor Blamage oder Strafe“ (Edmondson, 1999).
Psychologische Sicherheit bedeutet nicht, dass alle sich immer wohlfühlen oder Konflikte verschwinden – im Gegenteil: Sie schafft erst die Grundlage dafür, dass spannungsreiche, aber produktive Gespräche möglich werden. Vertrauen ist oft personenbezogen – „Ich vertraue dir.“ Psychologische Sicherheit dagegen ist ein kollektives Klima: „Ich fühle mich hier sicher, mich zu zeigen.“
Dieser Unterschied ist entscheidend. Denn selbst in Teams mit guter Chemie kann ein schwaches Machtverhältnis, eine unklare Entscheidung oder ein abwertender Kommentar reichen, um Sicherheit zu untergraben – oft ohne dass es jemand sofort merkt. Wer hier genau hinschaut, erkennt: Schweigen hat viele Formen. Aber keine davon ist gesund.
Was die Forschung dazu sagt
Psychologische Sicherheit ist messbar – und wirksam. In Edmondsons Ursprungsstudie meldeten ausgerechnet die leistungsstärksten Pflegeteams die meisten Fehler – nicht, weil sie mehr patzten, sondern weil sie offen damit umgingen (Edmondson, 2004). Fehlerkultur wird hier nicht zur Floskel, sondern zum strategischen Vorteil.
Auch Googles Forschungsprojekt Project Aristotle belegt: Psychologische Sicherheit war der mit Abstand stärkste Prädiktor für Team-Performance – noch vor Faktoren wie klare Ziele, Rollenverteilung oder fachliche Exzellenz (Rozovsky, 2015).
In einer APA-Studie von 2023 gaben 96 % der Mitarbeitenden in sicheren Teams an, dass ihre Führungskräfte Rücksicht auf ihre mentale Gesundheit nehmen – gegenüber nur 71 % in unsicheren Teams. Die Datenlage ist also eindeutig. Diese Zahlen sind keine Korrelationen. Sie sind Handlungsaufträge.

Ein konkretes Praxisbeispiel
Um zu verdeutlichen, worüber hier gesprochen wird, möchte ich ein konkretes, etwas drastisches Beispiel aufzeigen. Die Boeing-737-MAX-Katastrophen stehen sinnbildlich für die Kosten des Schweigens. Zwischen 2018 und 2019 stürzten zwei Maschinen dieses Typs ab – mit insgesamt 346 Todesopfern. Die nachfolgenden Untersuchungen zeigten: Techniker:innen und Ingenieur:innen hatten intern auf schwerwiegende Probleme mit dem neuen automatischen Steuerungssystem (MCAS) hingewiesen. Doch sie äußerten ihre Bedenken nur im kleinen Kreis – nicht gegenüber Vorgesetzten oder der Geschäftsleitung. Der Grund: Angst vor negativen Konsequenzen, vor Schuldzuweisungen oder dem Ende der Karriere.
Ein sicherer Raum für offene Rückmeldung – frühzeitig und ohne Angst – hätte womöglich Milliardenverluste, Reputationsschäden und Menschenleben verhindern können.
Das US-Repräsentantenhaus kam in seinem Untersuchungsbericht zu einem klaren Urteil: „Die Max-Katastrophen waren das schreckliche Resultat von fehlerhaftem technischen Design, mangelhafter Transparenz und einer Unternehmenskultur, die keine psychologische Sicherheit bot.“
Quelle: U.S. House Committee on Transportation and Infrastructure (2020), Final Committee Report on the Design, Development & Certification of the Boeing 737 MAX https://transportation.house.gov
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Psychologische Sicherheit ist Führungsaufgabe
Auch auf kleinerer Skala gilt: Psychologische Sicherheit ist kein Wohlfühlthema. Sie ist der zentrale Hebel für Leistung, Lernen und langfristige Bindung – insbesondere in Zeiten von Unsicherheit, Fachkräftemangel und hybriden Arbeitsmodellen. Sie beginnt mit Führung. Mit Haltung. Mit Gewohnheiten. Und manchmal mit der Entscheidung, einen schwierigen Satz auszusprechen – auch wenn er unbequem ist.
In vielen Organisationen herrscht eine paradoxe Situation: Einerseits verlangt der Wandel Mut, Transparenz und Mitdenken. Andererseits fühlen sich viele Mitarbeitende überlastet, verunsichert, beobachtet. Angesichts von Reorganisationen, Kulturveränderungen oder Remote-Strukturen steigt der psychologische Druck – aber die Räume für ehrliche Auseinandersetzung werden kleiner.
Führung spielt hier eine Schlüsselrolle. Psychologische Sicherheit entsteht nicht durch Trainings allein. Sie entsteht im Verhalten von Führungskräften – im Kleinen, Alltäglichen, Wiederholten. Die Kultur eines Teams zeigt sich darin, was gesagt werden darf – und was nicht. Wie reagiere ich, wenn jemand eine unbequeme Frage stellt? Wird Kritik als Angriff oder als Beitrag wahrgenommen? Haben alle die gleiche Chance, gehört zu werden – oder nur die Lauten?
Führung bedeutet nicht nur, „den Raum zu halten“. Sondern ihn aktiv so zu gestalten, dass andere sich zeigen können – auch mit Unsicherheiten, Zweifeln oder Gegenargumenten. Wie Edmondson schreibt: „Führung ist nicht der Ort für Perfektion – sondern für psychologischen Mut.“
Konkrete Gewohnheiten für psychologische Sicherheit
Die NeuroLeadership-Forschung (Rock, 2008) schlägt drei praktische Gewohnheiten vor, mit denen Führungskräfte psychologische Sicherheit im Alltag verankern können:
Stage setzen – Unsicherheit normalisieren:„Ich weiß nicht alles – was sehen wir vielleicht gerade nicht?“ Damit wird die Illusion der Allwissenheit aufgelöst und kollektives Denken aktiviert.
Partizipation einladen – gezielt auch ruhigere Stimmen einbeziehen:Statt „Hat jemand eine Idee?“ lieber: „Was denkst du, Alex?“ oder: „Wenn du Einwände hättest – wie würden die klingen?“
Bedacht reagieren – Danke sagen, wenn jemand widerspricht oder einen Fehler zugibt.Nicht bagatellisieren. Nicht rationalisieren. Nicht ahnden. Sondern schützen.
Diese Verhaltensanker klingen einfach – sind aber in der Praxis oft ungewohnt. Und gerade deshalb so wirksam.
Ein häufiger Irrtum: Psychologische Sicherheit bedeutet, dass es keine Konflikte gibt. Das Gegenteil ist richtig. Sicherheit ist die Voraussetzung dafür, dass Konflikte überhaupt sichtbar und bearbeitbar werden. Professionelle Mediation kann hier ergänzen – nicht erst, wenn es eskaliert, sondern präventiv: als Dialogkompetenz der Führung.
Fazit
Sicherheit beginnt mit Haltung – und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Psychologische Sicherheit ist keine Kür, sondern die Grundlage für leistungsfähige, lernende und resiliente Teams. Sie entsteht nicht zufällig – sondern durch bewusstes Führungsverhalten. Dort, wo Führungskräfte offen für Kritik sind, Fehler nicht sanktionieren und aktiv Perspektivenvielfalt einladen, entsteht Raum für Mut, Kreativität und Wirksamkeit.
In einer Zeit, in der Wandel zur Konstante geworden ist, ist psychologische Sicherheit kein „Nice-to-have“. Sie ist Überlebensbedingung für Organisationen, die langfristig erfolgreich sein wollen.
Mein Appell an Führungskräfte: Beobachten Sie nicht nur die Lauten – achten Sie auf das Schweigen. Und gestalten Sie Räume, in denen Menschen sich nicht anpassen müssen, um zu überleben, sondern sich zeigen dürfen, um gemeinsam zu wachsen.
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Lesen Sie auch hier weiter:
Literatur und weiterführende Quellen:
Edmondson, A. C. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly.
Edmondson, A. C. (2012). Teaming – How Organizations Learn, Innovate, and Compete in the Knowledge Economy.
Rozovsky, J. (2015). The five keys to a successful Google team. re:Work by Google.
Rock, D. (2008). SCARF: A brain-based model for collaborating with and influencing others. NeuroLeadership Journal.
APA (2023). Work in America Survey: Psychological Safety and Leadership.
The Fearless Organization: https://fearlessorganization.com